Bei der Auswahl, Zubereitung und beim Verzehr jedes einzelnen Bissen entscheiden wir KonsumentInnen, welche Werte wir essen und welche wir hinterlassen. Würden wir die Reste der Mahlzeit einer Unbekannten in einem Gasthaus aufessen, um foodwaste zu vermeiden? Ist Sachertorte kaputt, wenn Sie mit Senf in Berührung kommt? Ist Schweinefett tatsächlich so gesundheitsschädlich, dass wir es bedenkenlos verweigern können? Wir essen Werte, denn Essen ist ein kultureller Akt. Doch diese Wertevorstellungen können mitunter nachhaltigen Lebensstil verhindern.
Sustainable Fooddesign: Ein Projekt von Martin Hablesreiter/honey & bunny für Ja! Natürlich:
Wie viele Bienen sterben, wenn ein Hektar Ackerfläche mit Chemikalien bearbeitet wird? Wie beeinflussen wir die Artenvielfalt mit der Wahl unserer Milch? Jede Veränderung des Essverhaltens hat Auswirkungen auf das Ökosystem und sozio-ökonomische Prozesse. Es macht einen Unterschied, ob sich eine Gesellschaft für eine monotone, zentralisierte, industrialisierte oder eine biodiverse, vielfältige, nachhaltige Nahrungsmittelversorgung entscheidet. Gegenwärtig ernähren sich westliche Kulturen überwiegend von hochindustrialisiertem Essen. Es geht um die Frage, wie wir Veränderungen in unserem Essverhalten provozieren können.
Die Frage des täglichen Essens hat nichts mit Diäten, Rezepten oder Gourmetkritiken zu tun, sondern mit CO2 Emissionen, Fracking oder Gentechnologie. Jeder Bissen ist Kultur. Jedes Schlucken ist Politik. Wir wollen das Essen als essentielles politisches Thema in der Mitte der Gesellschaft positionieren, weil die Aufnahme der alltäglichen Kalorien nicht nur eine Frage von Genuss und Geschmack, sondern auch der Lebenseinstellung und Denkweise einer Gesellschaft ist. Angeblich kommt zuerst das Fressen und dann die Moral. In Wahrheit ist Essen fast immer mit moralischen Vorstellung verknüpft. Jede Gesellschaft, jede Kultur wählt ihre Nahrungsmittel nach moralischen Regeln aus und gestaltet ihre essbaren Produkte nach rituellen Ideen und Ordnungssystemen und verzehrt es nach definierten Regeln innerhalb ihrer Gemeinschaft.
Die Regeln und Gestaltungsparameter in den westlichen Industrieländern folgen den Ideen der zentralisierten Industriegesellschaft. Ein System aus Monokulturen und Massenproduktion ist für nachhaltige essbare Produkte weder erschaffen noch geeignet. Das Nahrungsversorgungssystem der westlich zivilisierten Welt widerspricht der Biodiversität, der Nachhaltigkeit und der Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen.
Regeln und Designprozesse rund um unser Essen sind aber weder von der Natur noch von der Wirtschaft vorgegeben, sondern gestaltbar.Was und wie wir essen, ist ein Ausdruck von Kultur, Sozialisation, Geschlecht, Alter, Gesellschaft, Reichtum, Moral und Lebensphilosophie.
Auf die Frage „Warum essen wir, was wir essen?” folgt die Frage, „Wie könnte Essen aussehen?“. Auf die Versuche, den Klimawandel zu beweisen und Nachhaltigkeit zu rechtfertigen, folgt die Frage, wie mit gestalterischen Mitteln und Intervention Veränderungen in Verhalten und Denkweise hinsichtlich Essen initiiert werden können. Essen ist ein hoch emotionaler Vorgang, dem wir rational nur sehr bedingt zugänglich sind. Die aktuelle künstlerische Aktion im Auftrag von Ja! Natürlich soll dazu anregen, auf emotional-sinnlicher Ebene nachzudenken.
Bild & Text von Martin Hablesreiter im Auftrag für Ja! Natürlich